Die Geburt von Q-anon aus dem Geiste der Schalentiere

Wie entstehen Verschwörungstheoretiker?

Wenn es in der Gegenwart schon nicht mit richtigen Dingen zu geht, dann wenigstens mit falschen. So werden populistische Welterklärungen zu Kontrollversuchen, die über Lügen ein Weltbild schaffen, das die Seele beruhigt und das eigene Selbstbild aufwertet. Hier wird die eigene Überlegenheit wieder bestätigt, ohne begründet werden zu können: „Einfach so“ ist man mehr wert. Und die anderen, „die Bösen“, Minderwertigen trachten danach.

„Wann wird die einfache, aufrichtige, lammfromme Bevölkerung Amerikas sich darüber klar werden, dass ihre öffentlichen Angelegenheiten in den Händen von Ausländern, Kommunisten, Verrückten, Flüchtlingen, Renegaten, Sozialisten, Termiten und Verrätern liegen ….? Diese ausländischen Feinde Amerikas sind die Parasiten, die ihre Eier in den Kokon von Schmetterlingen legen…“

Das ist kein Post von Donald Trump, sondern ein Zitat aus dem Text „Falsche Propheten“ von Leo Löwental, einem der Mitbegründer der Frankfurter Schule, der 1949 eine der ersten soziologischen Studien zur populistischen Gesinnung durchführte. Und hieran wird deutlich: Q-anon, Verschwörungstheorien und anderer Populismus sind ein Kernphänomen unserer allzumenschlichen Psyche.

Judenfeindlichkeit und der angebliche „Zugriff auf die eigenen Frauen“ sind dabei immer Thema, genauso wie das „Blut-Trinken zur vermeintlichen Stärkung“ und die geheime Übernahme „der Macht“. Logische Begründungen sind nie zu finden. Diese Wahnphantasien gebildeter und ungebildeter Bürger sind pathologisch und trotzdem alltäglich. Denn jede Form von Wahn beinhaltet immer Selbstaufwertung und eine Schwarz-Weiß-Weltsicht, die einen selbst als „gut“ beschreibt und andere als eindeutig „böse“. Ein Stück Kindlichkeit bleibt hier erhalten, in verunsicherten Erwachsenen.

Unsere Psyche denkt um die Ecke, spielt über Bande: Denn linear ist keine Erklärung für diesen Wahn zu finden. Doch das diffuse Unbehagen ist ein so beunruhigendes Gefühl, dass in den Phantastereien beruhigende, entlastende Bilder gefunden werden müssen (wie schon an kleinen Kindern zu beobachten ist, die ein Monster unterm Bett vermuten). Dafür haben wir unsere Phantasie in der Evolution bekommen: Zur Lösungen unserer Probleme (im Guten, wie im Schlechten). Doch warum behalten einige Erwachsene diese kindischen Vorstellungen bei – und nicht alle?

Tiefe Frustration ist der eigentliche Grund hinter den Wahnvorstellungen: Ohnmacht und Wut schaffen in dieser Kombination Schuld-Übertragungen auf andere (Gruppen). Und wie immer ist unser Selbstwertgefühl in Mitleidenschaft gezogen: Wer solchen Phantasien Glauben schenkt, ist frustriert durch eine andauernde Entwertung, den Mangel an Anerkennung. Betroffene fühlen sich missachtet, unfrei und beklagen Kontrollverlust. Macht und Anerkennung liegt angeblich bei „den Falschen“.

Dahinter steht oft Einsamkeit, Bindungslosigkeit, der Verlust einer alten, gewohnten Wertesicherheit. Elementare Nöte in der Befriedigung der Primärbedürfnisse sind dagegen nicht zu finden. Doch ist nicht auch unser Selbstwertgefühl ein Primärbedürfnis, in seiner grundlegenden Suche nach Bestätigung, Zugehörigkeit, Anerkennung?

„Nach dem Zerfall des Kommunismus, rennt die ganze Welt nur noch dem Geld hinter her“ – und dabei sind viele heute erfolgreicher, als es die weißen Männer in den letzten 400 Jahren es waren: Frauen machen bessere Bildungsabschlüsse, Russen haben mehr Rohstoffe, Chinesen mehr Disziplin.

Ohne offizielles Feindbild, Sortierschema, kommen die Unreifen unter uns ins Wanken, die ihr Stützkorsett im Panzer äußerer Überlegenheits-Werte finden (in westlichen Fortschritt, kapitalistischer Vormacht, America first, etc.). Sie haben noch keine Wirbelsäule der individuellen Selbststärke entwickeln können.

Man fühlt sich ohne Schutzschale dem Weltgeschehen wehrlos ausgeliefert. Bandenmäßiger Massenbetrug von Banken und Autokonzernen erschüttert darüber hinaus die eigene Orientierung an alten Flaggschiffen patriarchaler Integrität. Doch in der Anonymität und Gemeinschaft der virtuellen Mitkämpfer, kann man den alle Enttäuschungen gemeinsam bestimmten jüdischen Eliten oder Aliens zurechnen, wenigstens auf altbewährte Sündenböcke übertragen.

Vgl.https://www.zeit.de/2020/41/verschwoerungstheorien-usa-falsche-propheten-leo-loewenthal