Selbstwert und Krieg

Was hat unser gutbürgerliches Selbstbild mit dem Ukrainekrieg zu tun?

Unser Finanzminister Lindner warnt: Auch die Deutschen verlieren ein Stück von Ihrem Wohlstand durch den Ukrainekrieg. Gleichzeitig ist klar: „Nur“ jeder 7. Deutsche hat dabei wirklich Schwierigkeiten für seine grundlegenden Lebenshaltungskosten aufzukommen. (Und eigentlich war das auch schon vor Corona und den teuren Energiekosten so.)

Was ist mit den übrigen 85% der Deutschen? Wir müssen unseren unbedachten Konsum etwas einschränken – und einige von uns nicht mal das. Weit schlimmer spüren wir wohl die Kränkung unseres Selbstverständnisses als westliche, gebildete Bürger mit unserem bisherigen Schein-Recht auf Wohlstandswachstum bis hin zur andauernden sorglosen Verschwendung und unbegrenzte Konsumwünsche.

So ist der Krieg in der Ukraine längst schon Teil des dritten Weltkrieges, der aus Verteilungskämpfen und Vormachtansprüchen besteht, in einer Welt, in der die Ressourcen immer knapper und das Klima immer instabiler wird – aufgrund unserer westlichen Wohlstandsansprüche, also unseres eigenen unreifen Narzissmus´.

Denn wir übersehen gerne, dass unser Wohlstand auch durch das billige russische Gas und Öl erst möglich wurde und wir mit unserer Lebensweise Putins Waffen bezahlt haben, mit denen er jetzt Ukrainer tötet, um seine eigene russische Kultur als überlegene zu verwirklichen. (Und dabei tritt die Umweltzerstörung als viel größere Katastrophe für existentielle Verteilungskämpfe weiter in den Hintergrund rückt.)

Doch unsere Angst vor Wohlstandsverlust fesselt uns in unserem Alltag. Eisern versuchen wir unseren verschwenderischen Lebensstil zu verteidigen: Ums Verrecken wollen wir unseren Anspruch nicht aufgeben, unseren sorglosen Konsum weiter zu führen, pochen auf unser Recht auf mehrere Urlaube im Jahr mit Kreuzfahrten und billigen Fernreisen, mit täglichem Fleischkonsum, SUVs und einer stets aktuellen modischen Selbstinszenierung, die wir morgen schon entsorgen (gerne auch als Kleiderspende an die Ukrainer, damit wir uns auch noch als gute Helfer fühlen können).

Was würde helfen, um sich aus diesem Aberglauben zu befreien? Wir könnten selbständig beschließen, unsere Freiheit neu zu definieren – weg von einem freien unbegrenzten Konsum, hin zu einer anderen, sozialeren Neugestaltung unseres Lebensinhaltes. Wir können beschließen, reifere Narzissten zu werden, die sich nicht länger ihren Ängsten und Kränkungen durch Statusverlust hingeben – sondern sich selbst freiwillig entkoppeln vom Gedanken „das habe ich aber verdient“ und „ich gönn mir was“.